2022 waren die Immobilienmärkte von großer Unsicherheit geprägt. Joanna Tano blickt auf das Jahr 2023 und einige Themen, die künftig für den Immobiliensektor eine Rolle spielen dürften.
Im Januar und Februar 2022 war die Stimmung auf den europäischen
Immobilienmärkten eindeutig positiv. Die Investorengemeinschaft zeigte sich im
Hinblick auf die Stärke des Immobilienmarktes optimistisch: Die Covid-Auflagen
waren in Europa weitgehend aufgehoben, die Fundamentaldaten waren solide,
der Markt für gewerbliche Immobilien robust und die Erwartungen an die
Renditen realistisch. Dann ereignete sich Ende Februar die russische Invasion
in der Ukraine. Dieser Krieg, aber auch andere Entwicklungen sorgten für
Unsicherheit, die uns über das restliche Jahr begleiteten.
Und mit dieser Unsicherheit gehen wir auch in das Jahr
2023. Die Anleger sind zunehmend risikoscheu, obwohl
Teile des Immobilienmarktes weiter Erträge abwerfen und
Wertzuwächse verzeichnen. Ausschlaggebend hierbei sind solide
strukturelle Faktoren wie der weiterhin starke Online-Handel
und das mangelnde Angebot an hochwertigem Wohnraum zu
erschwinglichen Mietpreisen. Für die Anleger wird es in erster
Linie um den Werterhalt gehen. Angesichts der seit März 2022
europaweit steigenden Energiekosten und Zinssätze setzte ein
Prozess des Umdenkens ein: Werte sollten nun vor allem erhalten
und langfristig für die Zukunft geschaffen werden. Auch wenn
einige Volkswirtschaften in Europa weniger robust sind und viele
Immobilieninvestoren eine abwartende Haltung einnehmen, werden
sich dabei auch Chancen ergeben. In Zeiten, in denen Anlagen
eher begrenzt an Wert gewinnen und Erträge in den kommenden
Jahren einen größeren Anteil an den Gesamtrenditen ausmachen
werden, könnte eine auf Renditevorteile ausgerichtete Strategie
in Verbindung mit einem strategischen Top-down-Ansatz zu einer
zusätzlichen Outperformance führen.
Wer an Immobilienanlagen interessiert ist, sollte über kurzfristige
Unsicherheiten hinwegsehen und Strategien entwickeln, die
auf längerfristige Trends setzen, wie hybride Arbeitsformen,
zunehmender Konsum in bestimmten Bereichen des OnlineHandels oder der Mangel an bedarfsgerechtem Wohnraum
in bestimmten Gebieten. Es besteht vielleicht die Erwartung,
dass wir uns auf einen dauerhaften Zustand zubewegen. Die
Immobilienmärkte sind jedoch ständig in Bewegung und die
Trends werden sich weiterentwickeln und sich auf den gesamten
Sektor und die Lösungen, die dieser bieten kann, auswirken.
Häufig sind es gerade die Jahre nach einer Rezession oder einem
bedeutenden Umbruch, in denen der Immobiliensektor die größten
Anlagechancen und das höchste Gewinnpotenzial bietet.
Während die Performance variiert, ist die Qualität entscheidend
Im Zuge der bereits begonnenen Preiskorrektur wird die
Performance der einzelnen Portfolios unterschiedlich ausfallen,
was in erster Linie von der Qualität ihrer Anlagen und den
Sektoren, in denen sie investiert sind, abhängt. Immer mehr
Immobiliennutzer suchen nach Flächen, die ihnen ein höheres
Maß an Effizienz bieten, nicht nur, um Kosten zu senken, sondern
auch, um Mitarbeiter anzuziehen und zu binden, die immer mehr
auf umweltfreundliche Aspekte achten. Und dies wird zunehmend
auf Kosten der älteren Bestände gehen. Für neue Bestände wird
eine ökologische Ausrichtung mehr und mehr als Norm angesehen
und irgendwann werden die „grünen Prämien“ wegfallen – das
Kräfteverhältnis verschiebt sich also weiter zugunsten der Nutzer.
In den vergangenen zwölf Monaten hat sich der gewerbliche Sektor
als widerstandsfähig erwiesen. Dies wird zu einem längerfristigen
Kapitalerhalt für Vermieter führen, da sie sich qualitativ
hochwertige Flächen sichern wollen und bereit und in der Lage zu
sein scheinen, dafür zu bezahlen.
Chancen bestehen nicht nur in der Sanierung älterer Bestände,
wenn das Verhältnis zwischen den Kosten und den potenziellen
Ertragsströmen wieder ausgewogen ist – die überhöhten Materialund Arbeitskosten wiegen zur Zeit schwer –, sondern auch
darin, Bereiche mit bisher unbemerktem Wachstumspotenzial zu
identifizieren. Der Weg in die Zukunft führt über Qualität, sei es
unmittelbar durch den Erwerb von Bestandsimmobilien oder durch
Sanierung und Neupositionierung, um Stadtzentren und urbane
Gebiete zu modernisieren und aufzuwerten.
Standort
Aber auch der Standort ist wichtig, heute mehr denn je. Was einen
„guten“ Standort ausmacht, hängt dabei vom jeweiligen Sektor
ab. Bei den Büros beispielsweise macht sich der Strukturwandel
hin zu hybriden Arbeitsformen weiterhin bemerkbar. Noch ist
die Entwicklung nicht abgeschlossen, und die Unternehmen
testen weiterhin, welche Strategie sich für sie am besten eignet.
Es wird jedoch immer deutlicher, dass Büros in guter Lage, die
verkehrstechnisch leicht erreichbar sind, eine wichtige Rolle
in ihrem Gebiet spielen und gewisse Annehmlichkeiten in
unmittelbarer Nähe bieten, die Nase vorn haben werden, und zwar
auf Kosten von minderwertigen Beständen und weniger attraktiven
Standorten.
Ballungszentren bieten eine gute Lage, nicht nur für Büros. In
den Ballungszentren befinden sich Infrastrukturen wie Schulen
und Krankenhäuser, Straßen und öffentliche Verkehrsnetze,
die alle eine wichtige Rolle in einer Gemeinschaft spielen und
somit weiterhin Menschen anziehen, die einen Ort zum Leben
suchen. Dies trägt dazu bei, dass sich der Wohnsektor von einer
alternativen Immobilienklasse zu einer etablierten Kategorie
entwickelt. Der Sektor hat sich in den letzten 12 bis 24 Monaten
als widerstandsfähiger erwiesen. Der hohen Nachfrage nach
Wohnraum steht ein geringes Angebot gegenüber – wobei vor allem
qualitativ hochwertige Immobilien knapp sind. Investoren sind in
einer hervorragenden Position, um die Angebotslücke zu schließen. Dabei können sie nicht nur einen Wertzuwachs und Erträge
erzielen, sondern gleichzeitig auch eine positive soziale Wirkung.
Während mit Blick auf ökologische, soziale und die
Unternehmensführung betreffende Faktoren (ESG) die ökologische
Facette immer mehr zu einer Selbstverständlichkeit wird und
in die Investitionsvorhaben integriert ist, rücken die sozialen
Aspekte zunehmend in den Vordergrund. Große Auswirkungen
können etwa durch die Standortgestaltung und gut durchdachte
Mischnutzungsprojekte erzielt werden. Wenn zum Beispiel die
vorgeschlagene Regulierung in Bezug auf die Bewertung von
Energieausweisen zum Tragen kommt, wird es große Teile des
Wohnungsbestands geben, die nicht mehr zur Vermietung geeignet
sind und sich oft in den Händen privater Vermieter befinden.
Dadurch ergeben sich auf dem Markt Möglichkeiten für Investoren,
nicht nur Teile dieses Bestands zu modernisieren (Stichwort
„Dekarbonisierung“ und „Digitalisierung“), sondern auch die
Entwicklung von Gemeinden zu fördern und zu beeinflussen. So
geht es nicht darum, ein Objekt gleichwertig zu ersetzen, sondern
vielleicht um eine Mischnutzung, die dazu beiträgt, gesunde,
nachhaltige Gemeinschaften mit einem breiten Beschäftigungsund Wachstumspotenzial zu schaffen.
2023 werden wir zwar noch nicht alle Antworten bekommen, doch
es dürfte klarer sein, in welche Richtung die Reise geht.
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Immobilien: Werterhaltung als Maxime